"Dann bin ich eben zu Fuß gelaufen..."

von Redaktion Diakonie

Eine Besucherin der Diakonie-Tagespflege „Heimathafen“ erinnert sich

Besucher der Tagespflege „Heimathafen“ probieren im Kreativraum
Musikinstrumente aus, re. Helga R.

Es ist Kaffeezeit in der Tagespflege „Heimathafen“ in Greifswald. Alle Gäste sitzen gemeinsam am großen Tisch, unterhalten sich, genießen Kaffee und Kuchen. Alte Hände greifen zur Tasse. Was haben sie erlebt? Woher kommen sie?

Helga R. sieht man das Alter nicht an. Sie ist schon über 90 Jahre, adrett gekleidet und mit wachem Blick. In der Tagespflege ist sie noch relativ neu, hat sich aber sehr gut eingelebt. Das konnte sie schon immer – sich auf neue Situationen schnell einstellen. Aufgewachsen ist sie in Memel – dem heutigen Klaipeda. Von den vier Kindern zu Hause war sie die Älteste. Helga R. ist dort auf die Grundschule gegangen mit Zöpfen und Schleifen. Die Jungs haben tatsächlich die Schleifen der Mädchen „aufgezogen“, wie sie sagt und lacht verschmitzt.

Den Beginn des Zweiten Weltkriegs erlebt sie in Kreuzburg in Schlesien - nahe der damaligen polnischen Grenze. Das war ein gespenstisches Erlebnis, die Soldaten, die Tag und Nacht durch die Stadt marschierten. Auch der Vater von Helga R. wurde eingezogen, aber nach dem Tod der Mutter aus dem Militärdienst entlassen, um für die vier Kinder zu sorgen. Nach dem vorzeitigen Abitur in Posen, heute Poznan, wo die Familie mittlerweile lebte, musste sie zum Arbeitsdienst, wurde dann aber nach Berlin zum Kriegseinsatz evakuiert. Sie nähte Uniformkragen, während die Innenstadt zerbombt wurde. „Wir waren im Außenbezirk untergebracht und hörten die Bombeneinschläge. Es war schlimm. Ich war allein.“

Aber sie hatte Glück: Denn die Mädchen wurden „nach Hause“ geschickt – da sie jedoch keine Nachricht von der Familie hatte, ging sie zunächst nach Rügen zu Verwandten, dann zur Patentante nach Coswig. Von dort begann die Suche nach den Eltern und Geschwistern. Diese hatte es nach Süddeutschland verschlagen. Wie kam sie da hin? „Dann bin ich eben zu Fuß zu ihnen gelaufen.“ Sie sagt es, als wäre es ein Leichtes und kein beschwerlicher Marsch durch das zertrümmerte Deutschland gewesen. Heute kann sich das keiner mehr vorstellen. Helga R. ist nicht die Frau, die lamentiert, jammert und die Hände in den Schoß legt.

Sie kommt in Süddeutschland an. Es ist sehr schwierig eine feste Arbeit zu finden. Nach unterschiedlichen Tätigkeiten war sie Helferin in einer Apotheke. Die Heirat führt sie zurück Richtung Norden.

Nun hat es sie wieder an die Küste verschlagen zu ihrer Tochter und ihrem Sohn, die in Greifswald leben. In der Tagespflege „Heimathafen“ fühlt sie sich wohl und aufgehoben. „Es ergab sich, dass ich hier unterkomme. Die Schwestern sind sehr nett. Das kann ich nicht anders sagen.“

Helga R. ist eine aktive Besucherin, motiviert andere Gäste, die nicht mehr so mobil sind. Am Vormittag beschäftigt sich die Gruppe gerne kreativ beim Basteln oder Ausprobieren von Musikinstrumenten oder auch gemeinsamen Spaziergängen. Auf diesem Weg kommen alle auf einen Nenner, egal, welche körperliche und geistige Einschränkung sie haben. Der Spaß steht im Vordergrund.

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